Meldungen aus dem Landesverband Thüringen
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Gedenken an den Bombenangriff auf die Stadt Swinemünde

Nachdem 2021 pandemiebedingt nur eine stille Kranzniederlegung stattfand, konnte in diesem Jahr eine Zeremonie im größeren Umfang arrangiert werden.


Die ersten Sonnenstrahlen des Frühjahrs ziehen die Menschen wieder auf die Straßen und Promenade der kleinen Hafenstadt Swinemünde an der polnischen Ostseeküste mit ihren Cafés und Restaurants. Die Meeresluft säuselt durch die Dünen und singt ihre Lieder, die durch das Rauschen der Wellen unterbrochen werden. Das Seebad assoziieren viele Menschen mit Hotels in Bäderarchitektur, langen Strandspaziergängen, gemütlichen Schifffahrten und polnischer Gastfreundschaft. Vielleicht denkt der ein oder andere auch zurück an den Deutschunterricht und Theodor Fontane, der nicht nur einige Zeit in Swinemünde verbrachte, sondern die Stadt ebenso zu einem Handlungsort in seinem Roman Effi Briest machte. 

77 Jahre nach dem Bombardement der Stadt durch US-amerikanische Flugzeuge erinnert auf den ersten Blick scheinbar nichts mehr an die schrecklichen Ereignisse des 12. März 1945, als über 3000 Bomben den Ort trafen und nichts als einen Berg von Trümmern, Tod und Trauer zurückließen. Am 5. Mai 1945 erfolgte die Besetzung der Stadt durch die sowjetischen Truppen, ehe sie einige Monate später am 6. Oktober 1945 polnisch wurde und den Namen Świnoujście erhielt. Von nun an stand der Wiederaufbau im Vordergrund, sodass die Stadt ihre Atmosphäre als Seebad zurückgewinnen konnte.  
 

Um dem Vergessen entgegenzuwirken, die Geschichte der Stadt weiterzugeben sowie einen Raum zum Gedenken zu schaffen, erinnert bis heute eine Kriegsgräberstätte auf dem Golm an die Kriegsopfer des 12. März 1945. Der Golm – eine 69 m hohe Erhebung auf Usedom, unweit der polnischen Grenze – galt früher als ein beliebtes Ausflugsziel. Die Anhöhe bietet einen Ausblick auf Swinemünde und das Meer, mitten in einem kleinen Wäldchen. Nach 1950 kamen Konflikte zwischen der evangelischen Landeskirche und staatlichen Stellen hinsichtlich der dauerhaften Gestaltung der Grabstätte auf, sodass der Soldatenfriedhof in den Folgejahren mehrere Male umgestaltet wurde. 1954 wurde ein 13m hohes Hochkreuz aufgestellt, welches Unbekannte kurze Zeit später wieder zerstörten. Im Sommer 1969 beschloss der Rat des Kreises Wolgast, alle Grabkennzeichnungen zu entfernen. Es folgte die Errichtung eines Mahnmals, gestaltet durch den Rostocker Bildhauer Wolfgang Eckardt, in Form eines Betonrundbaus, welcher bis heute den höchsten Punkt auf dem Golm markiert. Im Inneren verweisen die Worte „Dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint“ auf die Schrecken und Konsequenzen des Krieges, die nicht bloß den Staat als Ganzen, sondern insbesondere die Zivilbevölkerung betreffen. Weiterhin wurde „Die Frierende“ zum Symbol der Gräberstätte, eine steinerne weibliche Figur, die bereits 1952/53 vom Bansiner Bildhauer Rudolf Leptien geschaffen, jedoch erst 1984 aus privater Initiative auf dem Golm unterhalb des Rundbaus platziert wurde. Eine letzte Neugestaltung der Gräberstätte erfolgte 1995 durch die Interessengemeinschaft Gedenkstätte Golm e.V., ehe im Jahr 2000 der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. die Trägerschaft übernahm. 

Dahingehend ist es zur Tradition geworden, dass der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern zusammen mit der Jugendbegegnungsstätte Golm jährlich eine Gedenkveranstaltung auf der Anhöhe organisiert. Nachdem 2021 pandemiebedingt nur eine stille Kranzniederlegung stattfand, konnte in diesem Jahr eine Zeremonie im größeren Umfang arrangiert werden. Um die Hintergründe der Gedenkstunde besser nachvollziehen zu können, soll im Folgenden etwas detaillierter auf die Stadtgeschichte zum Ende des Zweiten Weltkrieges eingegangen werden. 

Im März 1945 erreichten zahlreiche Flüchtlings- und Verwundetentransporte Swinemünde, sodass sich die Einwohnerzahl von ca. 28.000 auf 70.000 erhöhte. Hotels, Schulen und Kinos der einstigen Urlaubsidylle füllten sich mit Frauen, Kindern, Alten und Verletzten, die das Bild des Krieges in der Stadt einziehen ließen. Viele dieser Menschen kamen aus Ostpreußen, Danzig oder Pommern, aus Angst vor der Roten Armee, welche im Frühjahr 1945 in Mecklenburg-Vorpommern einmarschierte. Swinemünde sahen viele der Geflohenen als eine Chance, weiter in den Westen zu gelangen, beispielsweise nach Kiel oder Flensburg. Als am Morgen des 12. März 1945 die Sirenen heulten, glaubte niemand in der überfüllten Kleinstadt an einen möglichen Luftangriff – das Wetter war schlecht, die Stadt schien zu unbedeutend und schon oft seien Bomber über diesen Weg nach Berlin oder Stettin eingeflogen. Jedoch sollte sich diese Einschätzung nicht bewahrheiten. Insgesamt 661 Bomber und 412 Mustang-Begleitjäger der U.S.-Airforce machten sich von England aus auf den Weg, um mehr als 166 Tonnen Sprengbomben über der Hafenstadt abzuwerfen. Der Glauben der Menschen, das Seebad würde von den Angriffen verschont bleiben, endete gegen zwölf Uhr, als die ersten Bomben auf die Stadt hagelten. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Swinemünde im Zweiten Weltkrieg vor allem als militärischer Hafen fungierte und von der deutschen Kriegsmarine intensiv genutzt wurde. Letztere stellte das eigentliche Ziel des Bombardements dar. Andere Quellen vermuten, dass der Angriff in Hinblick auf die immense Masse an abgeworfenen Sprengstoff als Demonstration von Stärke der Amerikaner gegenüber den russischen Verbündeten und somit als ein Vorbote des Kalten Kriegs verstanden werden kann.

Aufgrund der Flüchtlingsströme reichten die Luftbunker kaum aus, um alle Menschen in Sicherheit zu bringen. So forderte der ca. einstündige Bombenangriff Schätzungen zufolge 4.000 bis 6.000 Menschen das Leben, darunter viele Zivilisten:innen. Die meisten der Opfer sollen sich auf brennenden oder kenternden Flüchtlingsschiffen sowie im Kurpark befunden haben, der sonst von Roteichen, Magnolien und Platanen geziert war. Die tatsächliche Zahl der Toten bleibt bis heute ungeklärt, da ein Großteil der Opfer nicht identifiziert werden konnte oder in Kellern und Bombentrichtern verschüttet wurde. Nach dem verheerenden Ereignis wurden Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene beauftragt, die Toten mit Lastwagen und Pferdefuhrwerken auf den Golm zu transportieren, um sie auf den bereits im Herbst 1944 auf halber Höhe entstandenen Soldatenfriedhof beizusetzen. Bis zum Kriegsende fanden auf diese Weise mindestens 1.500 Kriegsopfer ihre letzte Ruhe auf der Erhebung. Ganz gleich ob es die Angehörigen der Marine, des Heeres, der Luftwaffe, Geflohene oder Einwohner der Stadt waren: sie alle sind gestorben durch einen sinnlosen Krieg. Hoffen wir, dass ihre Geschichten in diesen Tagen unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken und uns unserer Verantwortung mahnen. 

An der Gestaltung der Gedenkveranstaltung beteiligten sich nicht nur der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Mecklenburg-Vorpommern und dessen Jugendarbeitskreis (JAK). Auch wir als JAK-Thüringen erhielten die Möglichkeit, der Zeremonie beizuwohnen und vor Ort mit elf Teilnehmer:innen bei der Organisation behilflich zu sein. So mussten z.B. Bänke auf- und abgebaut sowie alle Eindrücke in Bild und Text dokumentiert werden. Am Ende versammelten sich über 100 Gäste aus Polen und Deutschland um 14 Uhr auf dem Golm, um an die Kriegsopfer zu erinnern. 

Vor Beginn der Veranstaltung herrschte Schweigen. Vor uns reihten sich auf der grünen Wiese die weißen steinernen Kreuze um das Mahnmal in Form eines Rundbaus auf, die unter den blauen Himmel und der Mittagssonne strahlten. Vor den Grabmalen am Eingang der Kriegsgräberstätte ist eine Gedenkplatte in ein Podest eingelassen. Darauf platziert stehen die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Dr. Theodor Heuss: „Sorgt Ihr, die Ihr noch im Leben steht, dass Friede bleibe!“. Die Tatsache, dass noch immer neue Gräber ausgehoben werden müssen, die Kriege dieser Welt noch nicht ausgefochten sind und Hass sowie Gewalt täglich aufflammen, vergegenwärtigt, dass unsere Arbeit notwendiger ist als je zuvor und der Geschichtsunterricht allein nicht ausreicht, um aus unserer Vergangenheit zu lernen.   

Der Volksbund hat es sich zur Aufgabe gemacht „Arbeit für den Frieden“ zu leisten. Wir im JAK organisierte Jugendliche haben es uns zur Aufgabe gemacht „Arbeit für den Frieden“ zu leisten. In diesem Augenblick, in dem keiner ein Wort sprach und nur die Blätter raschelten, erhielten diese Worte eine andere Bedeutung. Unter den Gästen waren nicht nur Menschen aus Polen und Deutschland, sondern auch aus der Ukraine, deren hilflose, verzweifelte und doch gefassten Gesichter Bände sprachen. Sie sind geflohen, weil Krieg herrscht, Krieg in Europa. Noch nie wurde unsere Generation stärker mit derartigen Kampfhandlungen konfrontiert, noch nie waren diese präsenter als in der gegenwärtigen Situation. Noch nie wurde so deutlich: Arbeit für den Frieden heißt, sich für den Frieden, für Demokratie und ein Leben miteinander einsetzen. Es reicht nicht, sich auf dem Frieden der eigenen kleinen Welt auszuruhen, denn unsere Geschichte wird sich weiterschreiben und unsere Zukunft ist wandelbar.

Nach einem kurzen Moment der Stille, begann das eigentliche Programm. Den ersten Redebeitrag leistete Karsten Richter, Landesgeschäftsführer des Volksbundes in Mecklenburg-Vorpommern, der sich auch nach der Veranstaltung Zeit für uns nahm und mit uns erörterte, wie der Volksbund für jüngere Generationen attraktiver werden könnte – schließlich wird die Kriegsgräberfürsorge nicht auf Anhieb mit Jugendarbeit und -begegnung in Verbindung gebracht als vielmehr mit blechernen Spendendosen oder Gräbersuchportalen. Hier gilt es, den Fokus nicht nur auf den Austausch zwischen verschiedenen Nationen und demokratische Projekte zu lenken, was beispielsweise durch die zahlreichen Jugend-Workcamps und Bildungsveranstaltungen in die Tat umgesetzt wird. Zusätzlich sollte nebenbei der Austausch zwischen den Generationen gestärkt werden, gerade in Anbetracht der Tatsache, da auch Zeitzeugen ihre Geschichten nicht ewig weitergeben können. In diesem Sinne wird uns eine neue Verantwortung in die Hand gegeben, die es uns abverlangt, eben diese Schicksale am Leben zu erhalten. Natürlich liegt es nicht im Interesse eines jeden jungen Menschen, sich mit geschichtlichen Ereignissen intensiv auseinanderzusetzen und sich der Pflege von Gräbern der Opfer von Krieg- und Gewaltherrschaft zu widmen. Dennoch bedeutet Kriegsgräberfürsorge in diesem Kontext mehr als bloß Aufrechterhaltung von Grabmalen. Die gemeinsame Interaktion lehrt uns Respekt sowohl im Umgang miteinander sowie gegenüber den Kriegsopfern und anderen Nationen. So sind die Grabstätten zum einen Orte des Gedenkens, vor allem aber sind sie Orte des Menschenrechtslernens. Diesbezüglich ist es wichtig, dass auch wir uns als Jugendarbeitskreis an der Gedenkveranstaltung mit großer Zahl beteiligten. Schließlich ist eine Gruppe von Studierenden und Auszubildenden von 18 bis 30 Jahren mit verschiedensten Interessen von der Medizintechnik bis zum Germanistikstudium der beste Beweis dafür, dass die Arbeit für den Frieden und das Kriegsgrab als Medium junge Menschen zum Austausch ermutigen kann.

Im weiteren Verlauf folgte die Gedenkrede, verlesen durch Susanne Bowen, Staatssekretärin in Mecklenburg-Vorpommern für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. Für die geistlichen Worte sorgte die evangelische Pfarrerin Annegret Möller-Titel, deren Worte reflektierten, was wir uns vermutlich in der aktuellen Situation ausnahmslos alle wünschen: „Peace be with you“. Als Rahmen begleitete der Bansiner Posaunenchor Friedrich die einzelnen Redebeiträge, sodass nach jedem Abschnitt genug Zeit für eigene Gedanken blieb. Darüber hinaus erlaubten es die Organisatoren, dass auch der Jugendarbeitskreis Thüringen mit in der Ausführung der Gedenkveranstaltung integriert werden konnte, sodass Michael Kupiec als Vorsitzender und Cornelia Böck als stellv. Vorsitzende das Totengedenken zweisprachig in Deutsch und Polnisch vortrugen. 

Abschließend wollen wir die Gelegenheit nutzen, uns für die herzliche Betreuung in der Jugendbegegnungsstätte Golm zu bedanken. Nicht bloß, weil wir noch am Freitagabend nach 22 Uhr mit offenen Armen und einem Lächeln empfangen wurden, für die Verpflegung sowie die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Sondern ebenso für die Gastfreundschaft, die uns entgegnet wurde, obwohl zur gleichen Zeit spontan zusätzlich Platz für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge geschaffen wurde. Auch gilt unser Dank den beiden Freiwilligendienstlern aus Kirgistan und Usbekistan, die uns während des Wochenendes begleiteten und welche den geflohenen Familien immer ein offenes Ohr schenkten. So ist der Aufenthalt im kleinen Ort Kamminke gleichermaßen eine Zeit der interkulturellen Begegnung und Solidarität geworden. 

Lissy Liebeskind, JAK-Thüringen