Meldungen aus dem Landesverband Thüringen
Meldungen aus dem Landesverband Thüringen

Ein Gruß zum dreißigjährigen Jubiläum des Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge in Thüringen von Heino Falcke

Gründung des Landesverbandes am 8. Mai 1991 - Herr Heino Falcke (2. von rechts)

Vor dreißig Jahren hatten wir im gerade vereinten Deutschland die Zeit der Neuanfänge, eine „Gründerzeit“. So sollte der Volksbund für Kriegsgräberfürsorge, den es in Thüringen seit 1919 schon einmal gegeben hatte, wiedergegründet werden. Ich als evangelischer Propst wurde gefragt, ob ich als Vertreter der evangelischen Kirche bei dieser Gründung mithelfen könnte.
Ich hatte mich als evangelischer Christ und Pfarrer seit etwa 30 Jahren intensiv für die Friedensarbeit der Kirche in der DDR engagiert, mich für die Wehrdienstverweigerer eingesetzt und gegen die Militarisierung der DDR gestritten. Und davor, in dem militaristischen Nazideutschland, in dem ich aufgewachsen war, hießen die Soldatenfriedhöfe Heldenfriedhöfe, es gab Heldendenkmäler und in einer Kleinstadt hatte ich eines gesehen, bei dem das Kreuz von einem Schwertgriff kaum zu unterscheiden war.
In einem Europa nach zwei Weltkriegen und noch nicht heraus aus dem hochbrisanten Ost-West-Konflikt waren Soldatenfriedhöfe also ein hochsensibles Feld. Aber gerade als hochsensibles Feld muss es „bestellt“, der Millionen Opfer der Kriege muss gedacht werden.
Es waren zwei Gründe, die mich bewogen, den Volksbund in Thüringen mit zu gründen und zu unterstützen. 
Der Volksbund dient der Menschenwürde der Kriegstoten und er betont ausdrücklich, dass seine Arbeit nicht nur den gefallenen deutschen Soldaten, sondern allen Opfern von Krieg und Gewalt gilt. Er leistet das, was man heute „Trauerarbeit“ (Kübler–Ross) nennt. Er überlässt die Toten nicht der Vergessenheit in einer anonymen Masse von Opfern. Er führt die „Angehörigen“ über die Todesgrenze hinweg mit ihren Toten zusammen. Diese waren nicht nur „gute Kameraden“, wie sie in dem bekannten Lied besungen werden, sie waren geliebte Söhne und Töchter, Väter und Mütter, Brüder und Schwestern, Freunde und Freundinnen. Sie trugen Namen und der Volksbund hilft nach Kräften, den letzten Ort zu finden, der mit diesen Namen verbunden ist. Die Berichte des Volksbundes wissen davon zu erzählen. Es ist ein zutiefst menschlicher Dienst, der die Menschenwürde jedes einzelnen Menschen hochhält. Im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen ist der Volksbundes durch seine pure Existenz die Warnung „Nie wieder Krieg!“ respice finem! Bedenkt das Ende.
Mein zweiter Grund, warum ich den Volksbund unterstütze, sieht auf den ersten Blick eher wie ein Gegengrund aus. Bei ihm geht es um die Menschenwürde der Kriegsdienstverweigerer, der Deserteure und der bekennenden Pazifisten. Für sie gab es keine Gräber. Ihnen wurde der Prozess gemacht, sie wurden hingerichtet und beiseite geschafft. Während des Zweiten Weltkrieges gab es über 30.000  Prozesse und Todesurteile. Nur einer kleinen Gruppe gelang das Überleben. Sie kämpfte nach dem Krieg um ihre Rehabilitierung, aber erst im Jahr 2002 hat die Bundesrepublik die Todesurteile gegen die Deserteure aufgehoben und die Überlebenden rehabilitiert. Die Synode der EKD (Ev. Kirche in Deutschland)  hat auf einer ihrer Tagungen nach der Vereinigung die überlebenden Deserteure zu Wort kommen lassen und sich für ihre Rehabilitierung ausgesprochen.
In Erfurt haben wir das „Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“ errichtet. Bei der Einweihung hat mein Nachfolger Propst Jaeger gesprochen. Ich habe es unterstützt und auch gegen Kritik öffentlich vertreten.
Ist das ein Widerspruch zum Engagement im Volksbund? Ich behaupte das Gegenteil. Das eine fordert sogar das andere und ich könnte keines von beiden ohne das andere tun. Die Menschenwürde ist unteilbar. Sie eignet denen, die im Krieg gekämpft und ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Sie eignet aber auch denen, die den Kriegsdienst aus Glaubens- und Gewissensgründen verweigerten, die im Krieg zu Gegnern dieses Krieges wurden, und sie eignet auch den Deserteuren, die dem Schrecken der Kämpfe nicht standhalten konnten.
In dieser Gesamtsicht also gratuliere ich dem Volksbund für Kriegsgräberfürsorge zu seiner Wiedergründung vor dreißig Jahren. 
Ich danke ihm für seine Arbeit. 
Ich hoffe auf eine Welt, die ihre Konflikte gewaltfrei zu lösen lernt.                                                                   

Heino Falcke, März 2021